Programm

Die AKL hat 1991 eine Standortbestimmung der katholischen Liturgiewissenschaft formuliert, die mit Kommentaren im „Heiligen Dienst“ (45. 1991, 165-168) und im „Liturgischen Jahrbuch“ (42. 1992, 122-138) erschienen ist. Im Folgenden wird nur das eigentliche Dokument wiedergegeben. Es beschreibt das Programm, dem sich die AKL in ihrer Arbeit verpflichtet sieht.

Standortbestimmung der Liturgiewissenschaft

1. Gegenstand der Liturgiewissenschaft

a. Liturgiewissenschaft reflektiert als theologische Disziplin die Kirche als Versammlung derer, die sich explizit als von Gott Gerufene erfahren und im Gottesdienst zum Gedächtnis der Heilstaten Gottes in Jesus Christus zusammenkommen. In den unterschiedlichen Gestalten liturgischer Feier hört die versammelte Gemeinde das Wort Gottes und empfängt sein Heil; sie preist Gott als Ursprung und Mitte ihres Lebens, sagt ihm Dank und trägt ihm ihre Bitten vor.

b. Nicht der Mensch, sondern Gott ergreift die Initiative zur liturgischen Versammlung: Der im Geist Gottes gegenwärtige Christus ist das primäre Subjekt der Liturgie als der sakramentalen Verwirklichung des Paschamysteriums.

c. Doch gilt: Träger des Geschehens ist der ganze Christus, Haupt und Glieder. Die zugleich geschwisterlich und hierarchisch verfaßte Kirche spiegelt sich in verschiedenen Gottesdienstformen wider.
Es handelt sich beim christlichen Gottesdienst um auch soziologisch faßbare Versammlungen von Menschen. Als strukturierte Gemeinschaft unterliegt die gottesdienstliche Versammlung Gesetzmäßigkeiten, die es zu erfassen gilt und die dann ihrerseits im Sinne möglicher Korrektur und Optimierung der Form und Gestalt des Gottesdienstes dienen können.

d. Gottesdienst ist dabei nicht als isolierter Akt zu verstehen, sondern als eine Weise der Verdichtung des umfassenden christlichen Lebens, insofern Koinonia, Martyria und Diakonia in der Leiturgia ihren doxologischen Ausdruck und zugleich eine Ebene der Erfahrbarkeit finden.

2. Aufgabenstellung der Liturgiewissenschaft

a. Vom Gegenstand der Liturgiewissenschaft her bestimmen sich ihre spezifischen Aufgaben: Liturgiewissenschaft fragt, wie die skizzierte Wechselbeziehung zwischen Gott und Mensch, die im Paschamysterium Jesu Christi ihr Fundament besitzt, in der liturgischen Versammlung ihren angemessenen Ausdruck findet. Dies bedeutet, daß Liturgiewissenschaft die theologische und die anthropologische Dimension der gottesdienstlichen Feier gleichermaßen zu berücksichtigen hat.

b. Beide Dimensionen verweisen auf die Geschichte Israels und der Kirche, insofern in ihr Gottes Sprechen und Handeln greifbar geworden und Modelle einer adäquaten Antwort des Volkes Gottes ausgeprägt worden sind. Für die Liturgiewissenschaft ist aus diesem Grund eine Bezogenheit auf Tradition konstitutiv, wie sie von der Kirche verbindlich fortgeschrieben wird und auch in der Volksfrömmigkeit ihren Ausdruck findet. Hat die klassische Liturgiewissenschaft die Vielfalt der Traditionen in der Ökumene aufzeigen können, so geht es heute zusätzlich um die Beobachtung und Analyse eines sich in der Liturgie ständig neu vollziehenden Inkulturationsprozesses. Dieser wird anhand der geschichtlichen (teilweise auch von außerchristlichen Einflüssen mitbestimmten) Paradigmen dargestellt und gedeutet mit dem Ziel, seine Realisierung in der Gegenwart kritisch begleiten zu können.

3. Methoden der Liturgiewissenschaft

a. Die Liturgiewissenschaft bedient sich der verschiedenen historisch-kritischen, systematischen und praktischen Methoden, die auch in den anderen theologischen Fächern angewendet werden. Darüber hinaus hat sie seit jeher Methoden weiterer Wissenschaften, z. B. der Archäologie, der Hymnologie und der religiösen Volkskunde, einbezogen.

b. Die Versammlung als Konstitutivum der Liturgie verweist die Liturgiewissenschaft auf den konkreten Menschen als einen zweiten wesentlichen Bezugspunkt ihrer Fragestellung. Damit hat sie verstärkt den Dialog mit den Wissenschaften aufzunehmen, die sich aus unterschiedlicher Perspektive und anhand verschiedener Methoden mit dem Menschen und seinen Ausdrucksformen befassen (z. B. Sprach- und Kommunikationswissenschaft, Semiologie, Religionswissenschaft, Musik- und Kunstwissenschaft, Philosophie, Psychologie, Soziologie). Es geht darum, die Gesetzmäßigkeiten individueller und kollektiver Äußerungen zu erfassen und auf das gottesdienstliche Ereignis zu beziehen.

4. Stellung der Liturgiewissenschaft innerhalb der Theologie

a. Alle theologischen Disziplinen sind auf den Grundvollzug „Leiturgia“ als eine integrierende, verschränkende Wirklichkeit, als Verdichtung christlichen Lebens, verwiesen. Das Proprium der Liturgiewissenschaft besteht darin, nach der Realisierung des Grundvollzugs »Leiturgia« in der konkreten Feier zu fragen. Sie versteht diese als in Wort und Handlung vollzogenes Heilsgeschehen – theologisch ausgedrückt: als Ausdrucksgestalt der Heiligung des Menschen durch Gott und der Verherrlichung Gottes durch den Menschen.

b. Aufgrund ihrer engen Verflechtung mit den anderen theologischen Disziplinen kann die Liturgiewissenschaft eine koordinierende und integrierende Funktion wahrnehmen, indem sie den doxologischen Ursprung und das doxologische Ziel aller Theologie immer neu in das Gespräch bringt.

c. Wie alle anderen theologischen Disziplinen kann Liturgiewissenschaft selbstverständlich nur in ökumenischer Perspektive betrieben werden.

5. Erfordernisse für eine Lehrtätigkeit im Fach Liturgiewissenschaft

a. Die wissenschaftliche Ausrichtung des Faches fordert, daß wissenschaftliche Qualifikation und didaktische Kompetenz, verbunden mit der Fähigkeit zum fächerübergreifenden Arbeiten, an erster Stelle stehen. Diese Qualifikationen werden in der Regel durch Promotion und Habilitation im Fach Liturgiewissenschaft nachgewiesen.

b. Eine gläubig-kirchliche Grundhaltung ist wie in den anderen theologischen Fächern gleichfalls selbstverständliche Voraussetzung für die Übernahme einer Tätigkeit als Dozent oder Dozentin der Liturgiewissenschaft.

c. Ergänzend zu diesen Voraussetzungen lassen sich aus den bisherigen Überlegungen zwei weitere spezifische Anforderungen ableiten:

(1) Gespür für die Dimension des Spirituellen
Von ihrem Gegenstand und ihren Methoden her kann die Liturgiewissenschaft nicht vom Glaubensvollzug abstrahieren. Sie kann nur auf der Basis der längeren Erfahrung mit Gottesdienst und seinen Vollzügen vertreten werden. Dies impliziert eine besondere Sensibilität für geistliches Leben, welches nach dem Verständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils (vgl. SC 14) allen Getauften aufgrund des gemeinsamen Priestertums eigen ist.

(2) Gespür für Gestalt und Gestaltung
Will die Liturgiewissenschaft den christlichen Gottesdienst in seinem Wesen als eine lebendige Ausdrucksform des Glaubens in den Blick nehmen, so ist sie in starkem Maße auch auf die ästhetisch-gestalterischen Bereiche wie Sprache, Musik, darstellende und bildende Kunst sowie Symbolkommunikation verwiesen. Jeder bzw. jede im Fach Liturgiewissenschaft Lehrende wird von daher ein waches Interesse für alle diese Bereiche aufweisen müssen.

(6. Juni 1991)